Autor: Stephan Jürgens, AIJP
Vorab: Sie haben etwas geerbt, was Ihrem Verwandten wichtig war und ihm sehr viel Freude bereitet hat. Er (oder auch sie) hat vielleicht gehofft, dass Sie auch zur Philatelie finden. Rational (sprich wirtschaftlich) betrachtet könnte dies sogar die vernünftigste Lösung sein.
Das neue Auto wieder abbestellen. Ernsthaft. Die Kapitalisierung einer Briefmarkensammlung benötigt Zeit und Wissen. Wenn Sie Glück haben, hat der Erblasser vorgearbeitet und seine Sammlung gut dokumentiert. Viele ernsthafte Sammler bewahren die Rechnungen der von Ihnen gekauften Stücke in der Sammlung auf. Zusammen mit Prüfattesten und anderen (auch handschriftlichen) Unterlagen können Sie den Profi die Bewertung der Sammlung sehr erleichtern. Wenn sich in der Sammlung "kleine Raritäten" befinden - also Stücke die selten und kostbar sind - können diese Zusatzinformationen die einzige Möglichkeit sein, zu verhindern, dass diese unter Wert verschleudert werden. Denn auch der beste Philatelist kann nicht alles kennen und wissen - und: nicht immer ist der Wert bestimmende "kleine Unterschied" zwischen zwei augenscheinlich gleichen Marken mit bloßen Auge oder unter der Lupe sichtbar.
Kurz: Lassen Sie die Sammlung erst mal wie sie ist. Wenn die Sammlung nicht an ihrem jetzigen Standort bleiben kann, versuchen Sie möglichst die Reihenfolge der Alben und Kisten beizubehalten. Eine Idee könnte sein, die Alben fortlaufend zu nummerieren - rückstandsfrei ablösbare Selbstklebeetiketten ("Gefriertruhe") können hier gute Dienste leisten. Wenn Sie dabei auch noch eine Liste erstellen und die Titel der einzelnen Alben aufschreiben, haben Sie eine gute Grundlage für die weiteren Schritte. Wichtig: packen Sie auch die "Briefmarken"-Bücher mit ein, die Sie in der Bibliothek des Erblassers finden - manche Sammler geben mehr Geld für Literatur denn für Briefmarken aus. Und auch bei den Büchern mag es Sinn machen, die Reihenfolge aus dem Regal zu bewahren. Auf jeden Fall sollten Sie sich notieren, wie viele Bücher es sind. Die so gesammelten Informationen können einem Experten erste Anhaltspunkte für ein Wertschätzung geben.
Wenn es sich bei dem Erblasser um einen sehr aktiven Philatelisten handelte, wird er Mitglied in einem oder mehreren Vereinen gewesen sein. Wenn Sie unter den Unterlagen eine Liste der Vereinsmitgliedschaften und Abonnements gefunden haben, können Sie die Vereinsvorsitzenden oder die Geschäftsführer informieren. Wichtiger sind die Zeitschriften- und Neuheitenabonnements. Die sollten Sie zum nächst erreichbaren Termin kündigen. Sie wollen die Sammlung ja gewinnbringend verkaufen und nicht noch weitere Kosten haben. Die Vereinsmitgliedschaften sind mit dem Tode des Mitgliedes beendet - sie könnten sich aber in den nächsten Schritten noch als nützlich erweisen.
Wenn der Erblasser nicht in einem Briefmarkensammlerverein war, können Sie natürlich auch mit einem solchen Kontakt aufnehmen. Eine Liste der möglichen Ansprechpartner finden Sie auf Webseite des Bundes Deutscher Philatelisten in der Vereinsdatenbank oder der ArGen Datenbank.
Bei der Wahl der richtigen Strategie geht es letztlich um Trade-Offs zwischen Geld und Zeit (und Wissen und Vertrauen).
a) Je schneller Sie Geld haben wollen, desto weniger Geld werden Sie bekommen. Dies steht zwar ein wenig im Widerspruch zu der Tatsache, dass der philatelistische Markt schon bessere Zeiten gesehen hat, und sich seit Jahren im Abschwung befindet. Die Aussage zur Zeit ist eher kurz- bis mittelfristig gemeint. Mehrjähriges Warten könnte in der Tat den zu erzielenden Erlös mindern. Aber: wenn Sie innerhalb weniger Tage Bargeld haben möchten, werden Sie nur einen Bruchteil dessen erzielen, was bei sorgfältiger Planung erzielbar ist.
b) Je mehr Sie darüber wissen, welche Teile der Sammlung werthaltig sind, und welche eher Masse darstellen, desto besser. Wenn der Erblasser vorgearbeitet hat, finden Sie in jedem Album / Steckbuch eine Aufstellung, was sich in dem Steckbuch befindet. Ganz gewissenhafte Sammler haben hier auch Hinweise an den potentiellen Erben aufgenommen, welcher Händler/ Auktionator/ Sammlerfreund … für den Verkauf am besten geeignet ist. Wenn Sie solche (halbwegs aktuellen) Aufstellungen für einen Großteil der Sammlung finden, können Sie - wenn Sie sich an die Vorgaben des Sammlers halten - die wichtigste Regel für den Verkauf aussetzen: Nur die komplette Sammlung verkaufen, wenn Sie "Rosinenpickerei" zulassen werden Sie auf der Masse sitzenbleiben.
c) Damit haben wir die drei möglichen Käuferkreise angesprochen: Sammler, Händler und Auktionatoren. Wenn wir noch Investoren, Spekulanten und "Philatelistische Berater" hinzunehmen, decken wir die komplette Bandbreite ab - aber sachlich betrachtet sind die letzten drei Kategorien auch nur Händler mit jeweils leicht unterschiedlichen Geschäftszielen- und -praktiken. Seriöse "Berater" sind genauso gut zu finden wie "Schwarze Schafe". Letztlich wollen alle am philatelistische Marktgeschehen beteiligten nur Ihr "Bestes".
Prinzipiell die Käufergruppe, die am meisten für die Ware bezahlt. Dies ist ja auch logisch, weil sie die einzigen zahlenden "Endverbraucher" im Markt sind. Museen - sowohl überregionale als auch kleine Heimatmuseen - kommen wegen begrenzter Budget i.d.R. nicht als Käufer in Frage. Für eine Schenkung wird man jedoch eventuell ein Museum finden. Alternative hierzu dann gleich eine karitative Spende: die bekannteste Stelle hierfür sind die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel bei Bielefeld. Dort dienen die gespendeten Briefmarken nicht nur der Geldbeschaffung, sondern werden überwiegend in der Therapie eingesetzt. Aber nicht nur die Evangelische Kirche in Ostwestfalen betreibt eine solche Briefmarken-Sammel- und Verwertungsstelle, auch in anderen Regionen und Glaubensgemeinschaften werden Sie dankbare Abnehmer finden. Bethel ist halt nur am professionellsten organisiert und am längsten dabei. Zurück zu den Sammlern: am einfachsten finden Sie diese in den Vereinen, in denen der Erblasser Mitglied war. Eventuell gibt es dort auch eine Nachlasskommission oder vereinsinterne Auktionen. Insbesondere in überregionalen Vereinen (vulgo Arbeitsgemeinschaften) sind dies gute Wege. Aber: Insbesondere hier gilt die Regel "Keine Rosinenpickerei zulassen". Ein Sammler wird Ihnen für die gesamte Sammlung zwar auch nicht mehr geben, als er für die Stücke bezahlen würde, die ihn konkret interessieren, aber wenn Sie zu viele gute Stücke einzeln verkaufen, gibt es nichts mehr, was den Rest "trägt". Und: sprechen Sie mit so vielen Sammlern wie möglich. Zu einen werden Sie so mehr Tipps bekommen, welche anderen Sammler oder Händler Sie ansprechen können, und zum anderen bekommen Sie ein Gefühl für den Wert der Sammlung.
Sind die Sammler die Käufergruppe, die prinzipiell am meisten zahlt, sind die Händler die, bei der Sie prinzipiell am wenigsten bekommen werden. Denn der Händler lebt ja nicht vom Ankauf von Briefmarken, sondern vom Verkauf. Anders als beim Sammler werden Sie hier aber keine Schwierigkeiten haben, ein Preisangebot für die komplette Sammlung zu bekommen. Dieser ist natürlich eine Mischkalkulation (höhere Prozentsätze der Katalogwerte für die Dinge, die sich erfahrungsgemäß schnell verkaufen lassen und niedrige (bis auf 0 runter gehende) Ansätze für die Teile, die wahrscheinlich länger auf Lager liegen werden. Briefmarkenhändler finden sie eventuell in den Gelben Seiten oder über den APHV - den Bundesverband des deutschen Briefmarkenhandels. Unter Umständen macht es Sinn mehrere Händler um Angebote zu fragen. Jeder Händler hat andere Stammkunden und andere Fachgebiete. Noch eines: Händler sind die Käufer, wo sie am schnellsten an Bargeld kommen.
Hier handelt es sich weniger um einen Käufer denn um einen Vermittler. Anders als Händler leben die Auktionatoren nicht von der Differenz zwischen Ankauf und Verkauf, sondern von Provisionen, die für erfolgreiche Verkäufe fällig werden. Letztlich heißt das: je höher der Verkaufspreis ausfällt, desto mehr verdient der Auktionator. Hier sitzen also letztlich beide Seiten in einem Boot.
Die verschiedenen Auktionatoren haben unterschiedliche Prozentsätze für ihre Provisionen und einige nehmen auch Losgebühren für unverkauft gebliebene Lose oder das Anfertigen der Photos. Sie können versuchen bei diesem Teil der Einlieferungsbedingungen zu verhandeln - und auch versuchen auf die Loseinteilung und die Aufrufpreise Einfluss zu nehmen. Bedenken Sie aber: je weiter Sie die Provision des Auktionators herunterhandeln, desto weniger Zeit kann er sich für die fachgerechte Beschreibung ihrer Lose nehmen bzw. weniger Geld kann er in Werbung investieren, weniger Kataloge verschicken, weniger potentielle Käufer anrufen, … kurz: wenn Sie hier zu stark verhandeln, reduzieren Sie Ihre Verkaufschancen bzw. Ihren Erlös.
Prinzipiell sind zu hoch angesetzte Aufrufpreise für ein gutes Verkaufergebnis schädlich - zwei oder drei Interessenten für ein Los schaffen eine psychologische Situation, bei der die "Kontrahenten" eventuell höhere Preise bieten, als Sie das bei kühlem Kopf tun. Der Fall "Los angesetzt für 100 €" - nicht verkauft, beim nächsten mal auf "80 €" reduziert und dann für 120 € verkauft ist nicht so selten, wie man vermuten würde. (Der häufigere Fall ist allerdings, dass sich das Los zum reduzierten Preis verkauft.)
Anmerkung: der "Service" der Erstbegutachtung einer Sammlung ist bei jedem seriösen Auktionatoren (und auch Händler) kostenlos. Dies schließt - bei größeren Objekten - einen Hausbesuch ein. Es kann natürlich sein dass Ihnen (indirekt) gesagt wird "für das Material, was Sie mir beschrieben haben, fahre ich keine 1000 km" - dann suchen Sie sich entweder einen Kollegen, der weniger weit weg ist oder fragen nach einem Termin, wann der Auktionator in der Nähe ist.
In der Werbung - Anzeigen der wichtigsten internationalen Auktionshäuser finden Sie in jeder Ausgabe der philatelistischen Fachzeitschriften - bieten die Auktionshäuser hohe Vorschüsse und auch die Möglichkeit des Direktankaufs an. Im Beratungsgespräch wird auf diese Möglichkeiten in der Regel nicht hingewiesen. Vorschüsse - auch wenn sie verzinst sind - mindern die Liquidität des Auktionators und damit letztlich Verkaufschancen Ihrer Sammlung (letztlich mindert ein Vorschuss die Provision des Auktionators, weil er diesen Vorschuss über die Laufzeit des Vorschusses refinanzieren muss.) Und der Direktankauf macht den Auktionatoren zum Händler (mit den oben beschriebenen Vor- und Nachteilen). Und selbst wenn der Auktionator die Ware dann verkauft gibt es einen Unterschied (leicht verkürzte Darstellung, die aber im Kern trifft): wenn er die Ware ankauft und später wieder verkauft, wird die Mehrwertsteuer für den gesamten Verkaufspreis fällig - im Falle einer Auktion aber nur für die Provision.
Sinnvoll ist dagegen auszuhandeln wie oft und um welchen Prozentsatz reduziert die unverkauften Lose in nachfolgende Auktionen übernommen werden. Und es macht durchaus Sinn darüber zu reden (und die Ergebnisse in Vertragsform zu gießen) für welchen Preis der Auktionator zu einem festzulegendem Zeitpunkt die unverkauften Lose übernimmt. 30 bis 50 % der ersten Aufrufpreise und 1 Jahr nach der ersten Auktion sind hier durchaus realistisch - geben der Erbengemeinschaft aber auch einen Planungshorizont.
Auf allen diesen Veranstaltungen treffen Sie mehrere "Exemplare" der verschiedenen Käufergruppen an. Insbesondere die großen Briefmarkenmessen (u.a. Berlin, München, Essen, Sindelfingen) sind natürlich Muss-Veranstaltungen für viele Profis. Dies garantiert natürlich die Anwesenheit (und auch die Möglichkeit, Besuchstermine bei Ihnen vor Ort zu bekommen, andererseits aber auch Stress für alle Beteiligten. Wenn Sie vorab Termine ausmachen, können Sie Erfolg haben (viel Zeit zwischen den einzelnen Terminen lassen - in der Regel ist es keine böse Absicht wenn Ihr Gesprächspartner diese kurzfristig verschieben möchte). Bei "kleineren" Veranstaltungen - d.h. Ausstellungen und Großtauschtagen ist der Stressfaktor in der Regel nicht so hoch. Auch hier macht eine Terminabsprache Sinn. Andererseits: alle diese Veranstaltungen haben den Sinn, Kontakte zu knüpfen, Kontakte zu pflegen und Informationen auszutauschen. Es spricht also nichts dagegen, wenn Sie dies nutzen.
Ich habe Ihnen hier einige Tipps gegeben. Zum Abschluss möchte ich Ihnen viel Erfolg bei der Wahl Ihres Verkaufsweges.
Wenn Sie mich als potentiellen Käufer in Betracht ziehen: meine Sammelgebiete sind sehr weit von dem entfernt, was in Deutschland normalerweise gesammelt wird. Als Sammler werde ich Ihnen also vermutlich nicht helfen können. Und Händler bin ich nicht. Allerdings kann ich Ihre Anfrage gerne an die Einlieferungsabteilung meines Arbeitgebers (eines der größeren in Deutschland ansässigen internationalen Auktionshäuser) weiterleiten. Für die meisten Sammelgebiete wäre dieses Auktionshaus die Wahl meines Vertrauens. Und ich denke dass mein Arbeitgeber die wenigen Fälle verschmerzen kann, in denen ich ein kleineres spezialisierteres, (eventuell ausländisches) Auktionshaus empfehle. Dies werden übrigens die Fälle sein, in denen ich als Sammler am ehesten versucht bin selbst zuzuschlagen. Aber denken Sie daran: Wenn ich Ihnen ein konkretes Kaufangebot mache - Vorsicht vor Rosinenpickerei …
Dieser Leitfaden ist für mich vor allem ein Versuch in Sachen "Suchmaschienenoptimierung" (kurz SEO genannt.) Die in diesem Artikel relevanten "Schlüsselwörter" kosten bei Google Adwords mehrere Euro für einen Klick, sind also extrem umkämpft. Allerdings ist mein Eindruck, dass die wenigsten Seiten, die Google zu diesen Suchworten anzeigt, einem Erben oder Verkäufer auch wirklich hilfreiche Informationen liefern. Vielleicht ist dieser Beitrag ja hilfreicher - und wird von Google als solcher erkannt. Korrekturen und Ergänzungen bitte an mich.