Otto Bauer

Österreich

1981, 4 S, 100. Geburtstag von Otto Bauer, marxistischer Politiker

1981 1981, 4 S, 100. Geburtstag von Otto Bauer, marxistischer Politiker

Auktionshaus Christoph Gärtner, 52. Auktion März 2022

Bauer, Otto, 1881/Wien—1938/Paris, Sohn eines Textilfabrikanten, befaßt sich schon als Schüler mit Marx und Engels, tritt während des Studiums der Wiener Freien Vereinigung Sozialistischer Studenten und dem Sozialwissenschaftlichen Bildungsverein bei, wo auch Renner, Hilferding, F. Adler, G. Eckstein, M. Adler und Trotzki Mitglieder sind. 1906 zum Doktor der Rechte promoviert, übernimmt B. 1907 das Sekretariat der sozialdemokratischen Reichsratsfraktion, wird Redakteur der Arbeiter - Zeitung und Chefredakteur des Theorie - Organs Der Kampf. Ebenfalls 1907 veröffentlicht B. Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie, eine Studie, die ihn auf einen Schlag in der II. Internationale bekannt macht. 1914 Soldat, gerät B. in russische Gefangenschaft, kommt 1917 frei, agiert, wieder in Wien, gegen den Krieg und die Politik Renners, der die k. u. k. Monarchie, jedenfalls das alte Reich, reformieren und bewahren will, während B. den Zusammenbruch voraussieht und die Revolution vor Augen hat. Als diese kommt, wird B. für kurze Zeit Staatssekretär des Äußeren und Leiter der Sozialisierungskommission. 1919 übernimmt er den Vorsitz der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, den er bis Februar 1934 innehat. Als 1920 die Koalitionsregierung endet, gewinnt für B. zentrale Bedeutung, was er 1924 systematisch analysiert: Der Kampf um die Macht; denn die gesellschaftliche Transformation ist für ihn an Eroberung und Gebrauch der Staatsmacht gekoppelt. Für die Nachkriegsphase nimmt er dabei einen »zeitweiligen Gleichgewichtszustand« zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Stadt und Land an. In Form des Votums für »integralen Sozialismus« einer einigen Arbeiterbewegung gehen die Ergebnisse seiner Bolschewismusstudien in diese Politikanalyse ein. Hauptbestandteil des (Wahl - )Kampfes um die »Macht im Staat« sind die Demokratisierung der Exekutivorgane (besonders Armee, Polizei, Verwaltung) und die Erringung der »Hegemonie des Proletariats« — nicht zuletzt durch die Konsolidierung des sozialdemokratischen Exempels im »Roten Wien«. An B.s Analyse des Kampfes um Staatsmacht und Hegemonie schließt 1926 der Linzer Parteitag der SPÖ an.
B. gilt als geistiger Vater des Linzer Programms der Partei (Programme der österreichischen Sozialdemokratie), die hierin und bei den Frühjahrswahlen 1927 einen Höhepunkt erreicht. Nach dem spontanen Protest der Wiener Arbeiter im Juli 1927, der beim Sturm auf den Justizpalast 89 Tote fordert und die Sozialdemokratie ein »Opfer an Prestige« kostet, beginnt bald eine Phase des latenten Bürgerkriegs, in dem es nach der Verfassungsreform von 1929 um nicht weniger als die Verteidigung der Republik geht.
Ihr gilt vom 12. bis 15. Februar 1934 der bewaffnete Widerstand des sozialdemokratischen Republikanischen Schutzbundes gegen die Provokationen der bürgerlich - bäuerlichen Koalitionsregierung Dollfuß, die im März 1933 per Staatsstreich das Parlament entmachtet hatte. B. befürwortet den »heroischen Kampf«, übernimmt zusammen mit J. Deutsch die allerdings wenig effektive zentrale Leitung und flüchtet unmittelbar nach der Niederlage in die Tschechoslowakei.
Dort redigiert er weiterhin Kampf und Arbeiter Zeitung und verfaßt insbesondere selbstkritische Analysen über die sozialdemokratische Politik in der Weltwirtschaftskrise. Unter dem Eindruck des Faschismus und der die Arbeiterbewegung lähmenden Auswirkung von Rationalisierung (Dequalifizierung) und Krise (langfristige Arbeitslosigkeit) erkennt B., »wie schwer es ist, eine auf legale Aktion im Rahmen der bürgerlichen Demokratie eingestellte, ihr angepaßte Partei mit einem Schlage auf eine revolutionäre Aktion umzustellen«. Wie in seiner - posthum veröffentlichten — Studie Die illegale Partei begründet, versteht B. das Brünner Exil - und Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokratie, in dem er arbeitet, nicht als Exilvorstand. Dem Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten Österreichs, d. i. der illegal im Lande arbeitenden neuen Partei, »entstanden aus leidenschaftlicher Kritik an der Politik der alten, besiegten Sozialdemokratie«, gehört er nicht an. Er sieht in der Öffentlichkeitsarbeit des Auslandsbüros lediglich ein »Hilfsorgan« und betrachtet die Bindung an die Revolutionären Sozialisten als einen Schutz davor, »Strandgut der Geschichte« zu werden. Nach der vollendeten Annexion Österreichs und der drohenden des Sudetenlandes emigriert B. im Mai 1938 nach Paris, wo er im Juli an den Folgen eines Schlaganfalls stirbt.
Als politischer Theoretiker hat B. in der sozialistischen Transformation unter den Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise und parlamentarischer Demokratie seinen zentralen Gegenstand. Er legt dabei großes Gewicht auf die Rolle von Institutionen und Organisationen. Die Hegemoniefrage wird dementsprechend auf die Organisationsfåhigkeit der Sozialdemokratie bezogen; dahinter treten die in der Vorkriegszeit für B. bedeutenden subjektiven Hemmnisse (Traditionen, Kulturbezüge usw.) bei der Ausbildung eines sozialistischen Klassenstandpunktes analytisch zurück. Das Weltbild des Kapitalismus (1924) wird von B. nicht sozialisationstheoretisch und sozialpsychologisch, sondern aus der Perspektive einer rationalistisch verkürzten »transzendenten Ideengeschichte« wahrgenommen, so alltägliche Phänomene wie Nationalismus, Apathie und Hoffnungslosigkeit spielen in diesem Kontext keine bestimmende Rolle. Auch reflektiert B. nicht hinreichend die institutionellen und organisatorischen Wendemarken, die von einer demokratisch - sozialistischen Arbeiterbewegung zu beachten wären, wenn sie auf dem Weg zu sozialer Demokratie und sozialistischer Gesellschaft in akute Bedrängnis gerät. So bezeichnet B.s Analyse des Kampfes um die Macht im Staat jedenfalls nicht jenen Punkt, an dem der Prozeß der reaktionär - gewaltsamen Rückumwandlung der demokratischen Republik in eine »Bourgeoisierepublik« das verfassungsgemäße Handeln der reformistischen Kräfte fragwürdig macht und seine Aufhebung fordert. Das Problem ist wohl erkannt und angesprochen, aber aus der Sicht der Arbeiterbewegung nicht handlungsstrategisch gelöst. Dessen ungeachtet hat B. einem realistischen Konzept für demokratisch - sozialistische Parteien unter den Bedingungen eines parlamentarisch - demokratischen Verfassungsstaates soweit vorgearbeitet wie kaum ein anderer Zeitgenosse.


in: Thomas Meyer, Karl - Heinz Klär, Susanne Miller, Klaus Novy, Heinz Timmermann: Lexikon des Sozialismus

Nicht-Philatelistische Literatur

Ewa Czerwinska - Schupp: Otto Bauer (1881 - 1938). Thinker and Politician

Brill / Open Access

Leiden 2017

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Karl Czernetz ["Konstantin"]: Kritik des Austromarxismus

Aufstand der Vernunft Nr. 12

Wiebaden 2016

# Österreich # Otto Bauer

Otto Bauer: Der Kampf um die Macht

Verlag der Organisation Wien der Sozialdemokratischen Partei

Wien 1924

# Streik / Arbeitskampf / Aussperrung # Wien # Otto Bauer # SPD / Sozialdemokratie

Nicht Philatelistische Aufsätze in Anthologien und Zeitschriften

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Werner Sauer : Otto Bauer: Zwischen zwei Weltkriegen - und heute?
in: Austromarxismus: Gestern und heute KPÖ Steiermark Graz 2007

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Frank Heidenreich : Eine Nachbemerkung zu einem 60 Jahre alten Artikel und eine Notiz über die Entwicklung marxistischer Theorie
in: SPW - 17 - Dezember 1982 - Aktualität des Marxismus!? Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft Berlin 1982

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Richard Saage : Anmerkungen zu meinem Buch Otto Bauer. Ein Grenzgänger zwischen Reform und Revolution
in: Perspektiven DS - Zeitschrift für Gesellschaftsanalyse und Reformpolitik. 2/21 - Aufbruch in unsicherer Zeit Schüren Marburg 2021

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in: offen - siv. Zeitschrift für Sozialismus und Frieden. Mai - Juni 2014 Hannover 2014

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