Otto Wels

Wels, Otto, 1873/Berlin—1939/Paris, Sohn eines Gastwirts, lernte Tapezierer und trat nach der Wanderschaft 1894 der Berliner SPD bei. Nach der Militärdienstzeit (1895—97) in Partei und Tapezierergewerkschaft gleichermaßen aktiv, kam W. auf beiden Organisationsebenen der Arbeiterbewegung rasch voran: 1895 Vorsitzender des 5. Berliner Reichstagswahlkreises, 1901 Pressekommission des Vorwärts, 1905 Sekretär, 1906 Mitvorsitzender des Verbands der Sattler, Tapezierer und Portefeuiller, 1907 Parteisekretär für die Provinz Brandenburg (bis 1918). In allen großen Parteiauseinandersetzungen seit 1899 (Revisionismus - und Massenstreikdebatte, Vorwärts - Konflikt, Budgetfrage) ein engagierter Radikaler, der auch einem Streit mit Bebel nicht aus dem Weg ging, löste sich W. seit 1909 von der entschiedenen Linken. Die Wahl in den Reichstag (1912) und in den Parteivorstand (1913) erlebte er bereits als Vertrauensmann Eberts und, tendenziell, der Parteirechten. Im I. Weltkrieg einer der härtesten Vertreter der parteioffiziellen Burgfriedenspolitik, vertrat er in der Novemberrevolution die Mehrheitssozialdemokratie im Berliner Arbeiter - und Soldatenrat und half als Stadtkommandant von Berlin, die revolutionäre Bewegung niederzuschlagen. Als Mitglied der Nationalversammlung, MdR (1920—33) und, neben Müller, Vorsitzender der SPD ab 1919, bestimmte W. wesentlich den Parteikurs auf »Ruhe und Ordnung« und soziale Reformpolitik im Rahmen der parlamentarischen Demokratie und in Zusammenarbeit mit den bürgerlich - demokratischen Parteien. W.s Identifizierung mit der Weimarer Republik schlug sich nieder in der Initiative zur Gründung des Reichsbanners Schwarz Rot Gold (1924), der Übernahme des Vorsitzes der Eisernen Front und selbst noch in der Tolerierung der Kabinette Brüning. Höhepunkt seiner Treue zur demokratischen Verfassung war W.s Rede zur Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes in der von SA und SS »überwachten« Reichstagssitzung am 23. März 1933. Der Erhaltung der sozialdemokratischen Organisationen als vermeintlichem Bollwerk gegen den Nationalsozialismus galten 1932 W.s Bemühungen um ein geheimes Organisationssystem für den Fall eines Parteiverbots; vor und nach 1933 seine Absage an innerparteiliche Gruppenbildung; sein Austritt aus dem Büro der Sozialistischen Arbeiter - Internationale (SAI), dem er seit der Gründung angehört hatte. Im Mai 1933 verließ W auf Vorstandsbeschluß das Reich und richtete Anfang Juni in Prag die Auslandsleitung der SPD (SOPADE) ein: auch trat er, weiterhin (gemeinsam mit Vogel) Vorsitzender der SPD, dem SAI - Büro wieder bei. Unter Berufung auf das Mandat der »Treuhänderschaft« wehrte W. im Exil allen Versuchen zur Erneuerung der SPD von innen oder von außen, ebenso jeder Zusammenarbeit mit der KPD in Einheitsfront, Volksfront oder rein humanitären Organisationen. Ein erbitterter Gegner der NS - Diktatur, lehnte er die Appeasement - Politik der Mächte scharf ab. Er vertraute andererseits auf den Fortbestand »preußischer« Tugenden im Reich und die subversive Kraft der Verbreitung der »Wahrheit« über Lüge und Verbrechen des Regimes. W.s Haltung in SOPADE und SAI trug nicht wenig zur Zersplitterung der SPD bis Kriegsausbruch bei.


in: Thomas Meyer, Karl - Heinz Klär, Susanne Miller, Klaus Novy, Heinz Timmermann: Lexikon des Sozialismus

Otto Wels

Autor u.a. folgender Aufsätze