Radek, Karl, 1885/Lemberg—1939(?), Sohn einer jüdischen Lehrerin, begeisterte sich auf dem Gymnasium für den polnischen Freiheitskampf und bald für den deutschen Sozialismus. Nach dem Abitur (1902) ging er nach Krakau, wollte Recht studieren und wurde statt dessen, was er ein Leben lang vor allem anderen war: Journalist in den Reihen der revolutionären Arbeiterbewegung. 1904 zog es ihn in die Schweiz, wo er sich der Auslandsorganisation der Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens (SDKPiL) anschloß. Die klassenkämpferischen Weihen bekam R. in der russischen Revolution von 1905/06. Gerade 20jährig, organisierte und agitierte er in Warschau unter Anleitung, als habe er nie anderes getan. 1908 kam er nach Deutschland. Selbstbewußt, intelligent, dazu wißbegierig und ein ernsthafter Kopfarbeiter, erkämpfte er sich binnen kurzem als Chronist und Kritiker des Imperialismus einen anerkannten Platz in der radikalen sozialdemokratischen Presse. Doch fraktionelle Auseinandersetzungen in der SDKPiL machten ihm bald Jogiches und Rosa Luxemburg zum Feind. Er wurde Opfer einer klassischen Schmutzkampagne, die 1913 zu seinem Ausschluß aus der Sozialdemokratie und nicht geringen Irritationen auf deren linkem Flügel führte. Materiell aufgefangen von den Bremer Genossen, unterstützt von Pannekoek, K. Liebknecht, Mehring und anderen, suchte R., den der Vorgang tief traf, sein Recht. Er bekam es im Frühjahr 1914, als ein untadeliger interfraktioneller Untersuchungsausschuß der russisch - polnischen Sozialdemokratie auf seine Unschuld erkannte. Gleichwohl hing ihm der Rufmord nach. Als der Krieg ausgebrochen war und der Burgfrieden herrschte, gehörte R. zu den sozialdemokratischen Kritikern der ersten Stunde. Er organisierte noch 1914 die Verbindung mit Grimm, dessen Berner Tagwacht für eine ganze Weile gleichsam das Zentralorgan der linken sozialdemokratischen Kriegsopposition im Reich war. Im Dezember 1914 ging er auf Dauer in die Schweiz und bereitete an Grimms Seite publizistisch und organisatorisch die Zimmerwalder Bewegung vor. R. näherte sich den Bolschewiki, übernahm im September 1915 das Sekretariat der Zimmerwalder Linken und blieb doch ein eigenständiger Kopf: mehr als alles andere mit der Entwicklung der deutschen Opposition befaßt und mit Lenin hier und da heftig über Kreuz. 1917 begleitete er die russischen Revolutionäre auf ihrem Weg nach Petersburg und eröffnete in Stockholm ein Kontaktbüro des ZK der Bolschewiki. Nach deren Oktobersieg gehörte R. mit G. Sinowjew und Bucharin, neben Lenin und Trotzki, zum engsten außenpolitischen Führungskreis der Sowjetmacht und der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationale (Kl). Er behielt diese Position, in der er an allen wichtigen Entscheidungen der frühen Kommunistischen Weltbewegung beteiligt war, bis 1924. U.a. organisierte er mit Sinowjew 1920 den Kongreß der Völker des Ostens in Baku, leitete 1922 die Delegation der KI zur Berliner Konferenz der drei Internationalen und die Delegation der sowjetischen Gewerkschaften zur Haager Friedenskonferenz. Vor allem aber war R. der Mann im Hintergrund der KPD mal Kampfgefährte, mal Gegenpart Levis, nach dessen Ausschluß (1921) für anderthalb Jahre quasi Führer der Partei. Im Sommer 1924 als Anhänger Trotzkis in Moskau ausgebootet, bemühte sich R. in der Folge vergeblich um Versöhnung der diversen Oppositionen mit Stalin. 1925—27 amtierte er als Rektor der Sun Yatsen - Universität in Moskau. 1927 aus der KPdSU ausgeschlossen, im Januar 1928 deportiert, übte er im folgenden Jahr Selbstkritik, wurde Direktor des Informationsbüros des ZK und kommentierte wieder regelmäßig in Prawda und Iswestija. 1937 war R. eines der Opfer im 2. großen Schauprozeß. Er starb vermutlich zwei Jahre danach im Lager.
in: Thomas Meyer, Karl - Heinz Klär, Susanne Miller, Klaus Novy, Heinz Timmermann: Lexikon des Sozialismus